Vom „blinden Fleck“ zum Tintenfleck
Schüler und Schülerinnen des Bopparder Kant-Gymnasiums mit ihren Geschichtslehrern Nils Giesing und Alexander Ritter auf Exkursion zu Erinnerungsorten deutscher Geschichte. Dabei trafen Sie auch Georg Friedrich Prinz von Preußen, den Ururenkel des letzten deutschen Kaisers.
Zum 300. Geburtstag Immanuel Kants fuhren Schülerinnen und Schüler des gleichnamigen Bopparder Gymnasiums nicht nur zur großen Kant-Ausstellung nach Bonn, sondern besuchten auch andere Erinnerungsorte, an denen sich die Höhen und Tiefen deutscher Geschichte exemplarisch ablesen lassen. Schon Anfang Mai hatte Georg Friedrich Prinz von Preußen Schüler der Jahrgangsstufen 11 und 12 zu sich auf die preußische Stammburg Hohenzollern nach Baden-Württemberg eingeladen, um mit ihm über die Rolle seiner Vorfahren als brandenburgische Kurfürsten, preußische Könige und deutsche Kaiser zu diskutieren. Dabei wurden auch die im vergangenen Jahr beendeten juristischen Auseinandersetzungen der Familie insbesondere mit dem Land Brandenburg um die Enteignung seiner Vorfahren thematisiert. Dabei kam auch die Rede auf Kronprinz Wilhelm von Preußen und seine Nähe zu den Nationalsozialisten, was Prinz Georg Friedrich als „blinden Fleck“ in der Tradition seines Hauses bezeichnete. Die „Vorschubleistung“ des Kronprinzen für die Diktatur der Nationalsozialisten sollte denn schließlich auch die Rechtmäßigkeit der Enteignungen begründen. Aber inwieweit sein damaliges Verhalten nicht nur moralisch fragwürdig, sondern nach heutigen Maßstäben justitiabel ist – darüber waren sich auch die Schüler nicht einig.
Sicher ist jedenfalls, dass Immanuel Kant nie Professor in Königsberg geworden wäre, wenn ihn Friedrich der Große 1770 nicht zum Professor hätte berufen lassen – seine erste Bewerbung, die Kant schon 1756 eingereicht hatte, wurde zunächst nur zu den Akten gelegt. Die Schülerinnen und Schüler waren sich einig: Bis ins 20. Jahrhundert mischen sich in der Leistungsbilanz des preußischen Königshauses Licht und Schatten – Letzteres vor allem mit dem politischen Versagen Friedrich Wilhelm IV. in der Revolution 1848 und dem imperialistischen Säbelrasseln seines Großneffen Kaiser Wilhelm II. Allerdings haben wir den Hohenzollern unter anderem die Vollendung des Kölner Doms zu verdanken sowie den Wiederaufbau von Schloss Stolzenfels und der Burg Hohenzollern, auf der die Gäste aus Boppard übernachten durften.
Prinz Georg Friedrich, der von den Beschäftigten auf Burg Hohenzollern noch heute mit „königliche Hoheit“ angeredet wird, nahm sich viel Zeit für das Gespräch mit den Schülern und übernahm auch noch Teile der Schlossführung, die sich bis in den Abend hinzog. Als am nächsten Vormittag die preußische Fahne auf dem Burgturm eingeholt war, wusste man, dass er die Burg bereits verlassen hatte. Die Schüler des „Kant“ fuhren weiter zum Revolutionsmuseum in Rastatt, um sich über ein weiteres Kapitel deutscher Geschichte zu informieren.
Kaum sechs Wochen später ging es weiter nach Weimar, nicht ohne auf dem Weg dorthin die Relikte der früheren innerdeutschen Grenze und die Wartburg in Eisenach zu besuchen. Dort hatte Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt und der Sage nach mit einem Tintenfass nach dem Teufel geworfen. Der Fleck – in den letzten Jahrhunderten mehrfach nachgemalt – ist heute kaum noch sichtbar. Die Bedeutung der Wartburg für die Geschichte des Protestantismus, der deutschen Literatur und der nationalen Einigung im 19. Jahrhundert wird umso deutlicher. Kaum verwunderlich, dass sich das preußische Königshaus auch hier architektonisch verewigt hat.
In Weimar traten die Brüche und Gegensätze deutscher Geschichte nun offen zutage: Die Kant-Schüler besuchten das Goethehaus, die Herderkirche, den Platz vor dem Nationaltheater und – das Konzentrationslager Buchenwald. Ein Schock – selbst wenn das dort Sichtbare bereits aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist. Bei der Aufarbeitung des Gesehenen erinnerte man sich daran, was Georg Friedrich von Preußen einige Wochen zuvor gesagt hatte, als ihn ein Schüler gefragt hatte, ob er sich denn von seinem Urgroßvater distanziere, weil er sich den Nationalsozialisten angedient hatte. Der Prinz hatte entgegnet: Würdet Ihr Euch von Euren Vorfahren distanzieren, von denen die meisten mitgemacht haben? Wir sind heute das, was wir durch unsere Vorfahren geworden sind. Deshalb kommt es darauf an, ihr damaliges Tun kritisch zu hinterfragen und für ihr Erbe heute Verantwortung zu übernehmen.
Tag der Offenen Tür am Kant-Gymnasium
Für Eltern und Kinder, die in Erwägung ziehen, ab dem kommenden Schuljahr das Kant-Gymnasium zu besuchen, findet am 30.11.2024 ein Tag der Offenen Tür statt. Genaue Uhrzeiten und Hintergrundinformationen finden Sie zu gegebener Zeit auf der Homepage der Schule und in anderen Medien.
Eine ausführliche Bilddokumentation zum Besuch der Schule auf Burg Hohenzollern sowie alte Bücher und Dokumente dazu aus der historischen Schulbibliothek des „Kant“ finden Sie im 1. Stock vor Raum 220.